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Mittwoch, 28. Oktober 2015

Moskitos

Vorgestern habe ich mich bei einem Freund in einer schier endlosen Sprachnachricht-Tirade über diese verdammten Moskitos hier aufgeregt. Die Mückenstiche stapeln sich auf meinen Armen und Beinen, es juckt unaufhörlich und ich sehe aus als hätte ich die Windpocken, lauter rote Flecken. Stellt euch das mal in einem sexy Abendkleid vor - das geht gar nicht! Kein Vergleich zu der herzigen kleinen Schweizer Stechmücke, die praktisch nur einen kleinen Pieks hinterlässt. 

Der hilfreiche Kommentar des netten Freundes: «Denk positiv!» 

Welches Kind wünscht sich nicht ein Stofftier-Moskito? (Gesehen bei Amazon)

Ich versuche wirklich, die Dinge im Leben so positiv wie möglich zu sehen. À la, Traumjob nicht bekommen? Da wartet bestimmt was besseres auf mich! Bei Moskito-Stichen fällt das aber schwer. Beruflich läuft's grad nicht so rund aber dafür komme ich bei den Mücken voll an? Juhuu, ich habe Deli-Blut? Yeah. Nein ehrlich, was ist daran positiv, dass ich mich am liebsten den halben Tag im Badezimmer einsperren würde, um mich zu kratzen? Fangt gar nicht erst an mich zu belehren, dass man Stiche nicht aufkratzen soll. Das weiss ich selber und mein Wille bietet Mordskräfte auf, aber das Fleisch ist schwach. Dabei neble ich mich ständig mit Anti-Brumm ein. Man riecht mich jeweils schon gute fünf Minuten bevor ich um die Ecke biege. Wer braucht schon Parfum wenn man Anti-Brumm benutzen kann. 

Alle noch so grässlichen Viecher auf dieser Welt erfüllen irgendeinen Zweck, der ihr Dasein berechtigt: Bienen sind das Sexleben von Pflanzen und machen leckeren Honig. Spinnen essen Insekten die noch ekliger sind als sie selber. Inklusive Mücken übrigens. Sogar Kakerlaken haben eine Daseinsberechtigung: Ihre Scheisse macht den Boden nahrhaft für Pflanzen (Jahaa, ich hab mega recherchiert und einen schier endlos langen, wissenschaftlichen Artikel in Englisch von einem gewissen Dr. Kambhampati gelesen, um diesen einen Satz über Kakerlakenscheisse schreiben zu können). 

Aber wie sieht es mit Mücken aus? Man möchte es nicht glauben, aber auch sie haben ihren Platz in unserem Ökosystem (und ungefähr 100 Plätze auf meinem Körper). Sie dienen einerseits als wichtige Nahrungsquelle für viele Tiere. Eben Spinnen beispielsweise. Und Eidechsen. Die essen übrigens auch Kakerlaken. Und um die Nahrungskette zu vervollständigen: meine Katze isst dann wiederum die Eidechsen. OK, nicht ganz. Sie spielt mit ihnen und lässt sie dann irgendwo, am liebsten im hintersten Ecken unter meinem Sofa, langsam und qualvoll verrecken. Also fallen die Eidechsen bei mir zu Hause leider weitgehend weg als natürliche Moskito-Beseitiger.
Zurück zum eigentlichen Thema. Neben noch ein, zwei anderen, komplizierter zu erklärenden Sachen, dienen Moskitos als Bevölkerungskontrolle. Sie halten Menschen und Tiere mit Dengue, Malaria und anderen von ihnen übertragenen Krankheiten in Schach, damit wir uns nicht zu sehr vermehren und die Erde übervölkern. 

Kommen wir aber endlich zum für mich einzig möglichen positiven Gedanken über Moskitos: Downward Comparison. Gemeint ist, sich gut fühlen weil man sich beispielsweise mit jemandem vergleicht, dem es noch beschissener geht. Dem Moskito geht es meiner Meinung nach beschissener als meinem zerstochenen Selbst. Zumindest möchte ich auf keinen Fall mit einem Lebewesen tauschen, das alle hassen, es sei denn, sie können es essen. Auch wenn die kleine Blutsaugerin (es sind ja nur die Moksitomädels die stechen) sich dessen nicht bewusst ist und bestimmt keine tiefgründigen Gedanken über ihr Dasein hat.


Fazit: Wenn gar nichts mehr geht, Downward Comparison geht immer.

Montag, 26. Oktober 2015

Dinge, die die deutschsprachige Welt nicht braucht

Vor einigen Tagen hat mich die Bewertung eines deutschen Reiseportals so genervt, dass dieser Blogpost entstanden ist. Ich habe für sie einige Texte verfasst, die mit nur vier von fünf Sternen bewertet wurden. Wegen mangelnder Orthografie. Boah. Was?! Die Perfektionistin in mir heulte auf. Wie sich herausstellte, waren es ausnahmslos Wörter, in denen ich ein Doppel-s anstelle des scharfen S (ß) verwendet hatte. 


Wir Schweizer sind ja in vielen Dingen sehr eigen und man mag es oder eben nicht: Wir lieben den Diminutiv, der ist nämlich herzig, mögen es aber gar nicht, wenn Deutsche vom Fränkli reden. Wir fahren Velo, machen grundsätzlich nicht Urlaub sondern Ferien, gehen auf dem Trottoir, essen zum Zmorge ein Gipfeli, wohnen in Attika-Wohnungen, trinken Stangen und die nicht zu östlich wohnhaften können zudem das R aussprechen.

Klar, in Texten für generell deutschsprachiges Publikum lassen wir oben genannte Ausdrücke möglichst weg. Aber in einer Angelegenheit sind wir Schweizer uns alle einig: Dieser eigenartige, geringelte Buchstabe ß ist vollkommen überflüssig. Wir verwenden ihn niemals (und wenn doch, ist die automatische Rechtschreibkorrektur schuld).

Deutsche und Österreicher aber lieben das ß über alle Massen. Oder vielleicht auch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass alle den Satz verstanden haben. Denn Masse oder Maße ist das einzige Wort, das sich auch in der Aussprache wegen dem Eszett unterscheidet. Wir Schweizer haben schon lange festgestellt, dass wir klug genug sind, den Unterschied auch durch den Kontext zu verstehen und haben das ß daher schon längst abgeschafft. 

Aber klug genug ind wir ja eigentlich alle. Denn es gibt noch mehr Wörter, die gleich geschrieben werden, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Sogenannte Homonyme: Bank, Tau, Leiter, Schloss, Hahn… um nur einige zu nennen. Wichtig ist, wir wissen immer, wovon gerade die Rede ist. Schreibt mir jemand «Die Tauben sind bestimmt voller Flöhe», bin ich mir sicher, die Person redet von den Vögeln und nicht von gehörlosen Menschen.

Wieso also besteht die restliche deutschsprachige Welt (ich zähle Liechtenstein orthografisch jetzt einfach mal zu der Schweiz) immer noch auf der Verwendung dieses sinnlosen Buchstabens?

Mich für meinen Teil interessiert der Gebrauch des ß nicht und ich werde ihn auch nicht lernen. Auch dann nicht, wenn mich eine deutsche Internetseite deswegen mit nur vier von fünf Sternen bewertet. Meinen Schülern (ich unterrichte hier Deutsch) erkläre ich jeweils, dass es ein Doppel-s ist, dessen Anwendung sie getrost ignorieren können. Die deutsche Sprache ist ohnehin schon schwer genug. 

Fazit: Manchmal sind wir Schweizer eben sehr pragmatisch. 

Mittwoch, 21. Oktober 2015

Nikita

Rote Katzen lieben mich. Denn es sind immer die Roten, die mich aussuchen. Jawohl, die mich aussuchen. Es ist nämlich nicht so, als hätte ich jemals aktiv entschieden, eine Katze zu adoptieren. Nein, diese Fellknäuel finden immer mich. Und es sind jeweils sie, die entscheiden, «So, bei diesem Menschen bleibe ich jetzt».

Die meisten, die diesen Blog lesen, kennen Mino und Chili. Der eine ein hellroter, mexikanischer Kater, der einen an der Waffel hat. Der andere ein roter rundlicher Kater, der Ähnlichkeiten mit Dreamworlds Version des gestiefelten Katers hat. Ich wollte weder damals in Mexiko eine Katze, noch eine zusätzliche als ich wieder zurück in der Schweiz war. Aber irgendwie hat es sich einfach so ergeben. Mino blieb bei mir, statt zu seinen eigentlichen Besitzern zu kommen und Chili übernahm ich von meinen Eltern. Und natürlich habe ich beide in mein Herz geschlossen. Mein innigster Dank an dieser Stelle an die neuen (vorübergehenden) Adoptivmamis und -papis der beiden. 

Nach meinem Neustart hier in Mexiko war ich aber sicher, ich wollte keine neue Katze mehr. Entweder Mino zu mir holen oder gar keine. Ausserdem bedeuten Haustiere auch langjährige Verpflichtungen, die ich sicher wahrnehmen und können will. Also, zu diesem Zeitpunkt garantiert keine neue Katze mehr. Dann tauchte das Plappermaul Nikita auf.

Nikita, mal ganz graziös...
Damals noch eine namenlose rote Strassenkatze mit leichtem Überbiss und kräftiger Stimme. Eines Tages entschied sie einfach, sie gehört jetzt zu mir. Indem sie uns einfach ins Haus folgen wollte - als wäre es das selbstverständlichste der Welt. Anfangs versuchte ich mich noch zu widersetzen und stellte ich ihr einfach draussen Futter hin. Aber dann hat sie mich doch überredet. Wortwörtlich. Denn sie ist äusserst gesprächig. Egal ob es drei Uhr morgens ist, wenn sie uns unbedingt mitteilen muss, dass sie jetzt wieder zu Hause ist und was sie alles spannendes erlebt hat, oder zehn Uhr früh, wenn ich mich versuche auf meine Arbeit zu konzentrieren. Aber das Gemiaue ist eben schon auch irgendwie herzig. Okay, sie ist extrem herzig. Und hat unsere Herzen im Sturm erobert.

...mal weniger.

Seit knapp drei Monaten verbringt sie jetzt 90% vom Tag zu Hause und folgt mir dort auf Schritt und Tritt. Vergessen sind die Tage, als sie auf der Strasse lebte. Vor allem zur Fütterungszeit. In diesen wenigen Wochen ist aus der kleinen, zerrupften Strassenkatze eine hübsche Katzendame mit glänzendem Fell geworden. Ihre Dankbarkeit drückt sie in Form von toten Ratten, Eidechsen und Vögeln aus. Ja, mein Herz wurde wieder von einer Katze gestohlen.


Fazit: Wenn man eine Katze zur Adoption freigeben will, sollte man das unbedingt im ersten Monat nach dem Kennenlernen tun. Sonst brechen Herzen.

Montag, 19. Oktober 2015

Ahorita

Heute bringe ich euch die mexikanische Kultur etwas näher. Anhand von einem Wort: Ahorita. Ein Wort das mir weitaus mehr Angst einjagt als die berühmt-berüchtigten Drogenmafias. 

Wortwörtlich übersetzt ist «ahorita» das Diminutiv von «jetzt», die Schweizer Version (wir sind ja bekanntlich grosse Fans des Diminutivs) wäre also «jetztli». Hört sich niedlich an. Ist es aber nicht. Es ist ein, in seinem Gebrauch, schreckliches Wort.

«Ahorita» ist eine Zeitangabe, die eigentlich so viel wie «gleich» oder «sehr bald» bedeutet, auf jeden Fall ein zeitlich sehr nahe liegender Moment. Tatsächlich gemeint ist aber jede nur erdenkliche Zeitspanne zwischen «in fünf Minuten» bis «gar nie». In den meisten Fällen liegt sie unangenehm nah bei gar nie. Oft wird das Wort einfach benutzt, um nicht nein sagen zu müssen. Denn das wäre ja unhöflich. 

Es hat eine Weile gedauert, bis ich die wahre Bedeutung des Wortes gelernt hatte und aufhörte, auf diesen Anruf zu warten. Oder darauf, dass mein Herr Gemahl seine Socken vom Boden in den Wäschekorb umdisponiert. 


Den höchsten Grad an Frustration löst das Wort aber im Zusammenhang mit Technikern, Sanitären und ähnlich sehnsüchtig erwarteten Menschen aus. Falls unklar sein sollte warum, hier ein Beispiel aus dem Alltag: 

Mein Internet funktionierte plötzlich nicht mehr. In der Schweiz würde ich nun den Anbieter anrufen und dieser würde zu einem vereinbarten Termin jemanden vorbei schicken. (Mein vor-mexikanisches ich hätte sich dann über eine halbe Stunde Verspätung aufgeregt oder über ein so ungenaues Zeitfenster wie "Montag Vormittag".) In Mexiko bekam ich die völlig unbefriedigende Zeitangabe von «frühestens in drei Tagen». Am Tag Nummer sechs rief der Techniker an, um mir mitzuteilen, er komme «ahorita». Es konnte sich also nur um Stunden handeln. Er kam überhaupt nicht. Am Tag sieben rief wieder jemand an, wieder, er komme «ahorita». Die Schweizerin in mir beschloss, gegen solch unfassbare Unzuverlässigkeit vorzugehen. Und tatsächlich, nach einigen, für alle Involvierten gleichsam nervtötenden Anrufen und vier Stunden später, war er da. Ich verbuche das als Erfolg. Die Behebung des Problems dauerte übrigens nur zehn Minuten. Der Grund für den Internet-Ausfall würde einen weiteren Blogeintrag füllen. 

Ähnliche Redewendungen:
«Permítame un segundo»«Gib mir eine Sekunde.» Sekunden dauern hier deutlich länger  als in der Schweiz.
«Estoy en camino!»: «Ich bin unterwegs!» Vermutlich gerade vom Badezimmer ins Schlafzimmer, um sich für das Treffen umzuziehen. 

Fazit? Geduld ist eine verdammte Tugend.

Samstag, 15. August 2015

Manchmal schäme ich mich, Schweizerin zu sein

Vor etwa drei Wochen habe ich angefangen, einen Text darüber schreiben, dass ich mich für einige meiner Schweizer Mitbürger schäme. Irgendwie habe ich ihn aber liegen lassen. Bis ich in den Medien immer häufiger zum Thema Migration und Rassismus las. Obwohl mein Blog eigentlich unpolitisch ist, hier nun doch mein Text dazu.

(Ich benutze im folgenden die Wir-Form, es sollte offensichtlich sein, wer sich angesprochen fühlen sollte.) 

Viele Migranten kommen in die Schweiz in der Hoffnung auf ein wirtschaftlich stabiles und ruhiges Leben in Sicherheit. Viele landen ungeplant hier, auf der Flucht vor Gewalt, Krieg und Verfolgung, in der Hoffnung auf ein bisschen Frieden. Die Schweiz hat den Ruf ein Land zu sein, in dem wir alle in einem gewissen Luxus leben. Und haben wir nicht wirklich diesen Luxus, diesen Überfluss, und vor allem diesen Frieden in der Schweiz? Haben wir nicht alles das und noch mehr? Können wir es anderen Menschen verübeln, wenn sie auch etwas Luxus, Frieden und Sicherheit wollen? 

Oft muss ich an einen Serben denken, den ich vor ein paar Jahren in den USA kennengelernt hatte, wo er den Sommer über arbeitete. Er konnte partout nicht verstehen, dass ich dem Paradies Schweiz den Rücken kehrte, um in einem Land wie Mexiko zu leben. Was für ein furchtbarer Tausch! Wütend schrie er: «Ich und meine Familie, wir würden alles dafür geben, um in der Schweiz leben zu können, und du, du hast das Glück dort geboren zu sein und verlässt das Land einfach… für Mexiko!! Jeder weiss doch, wie gefährlich es dort ist. Wie blöde bist du eigentlich?» Mit meinem Argument «ich bin glücklich in Mexiko» stiess ich auf taube Ohren. Auch hier in Mexiko stosse ich oft auf Unverständnis ob meiner Entscheidung, denn auch hier hat man vom «Paradies Schweiz» gehört.

«Das Glück dort geboren zu sein». Obwohl ich der Schweiz inzwischen den Rücken gekehrt habe, muss ich dem empörten Serben in dem Punkt recht geben. Das Glück, am richtigen Ort geboren zu sein. Schlussendlich ist es doch das, was uns von «den Ausländern» unterscheidet. Wir hatten einfach verdammt Glück, in einem Land geboren zu werden, wo Frieden und Wohlstand herrschen. Aber teilen wollen wir das natürlich nicht. Wir wollen das alles nur für uns alleine haben! Diese Ausländer nehmen nämlich alle unsere Arbeit weg. Sie klauen uns unseren Wohlstand. Und kaufen uns das tolle Smartphone vor der Nase weg! 
Wenn uns dann doch das schlechte Gewissen packt, spenden wir hundert Franken an eine Hilfsorganisation. Aber warum nicht vor der eigenen Haustüre anfangen? Ein bisschen Gastfreundschaft zum Beispiel. Ein bisschen weniger Diskriminierung. Ein bisschen Mitgefühl.

Wenn es die Leute, die aus ihrem eigenen Land vertrieben wurden, bei uns zu ein bisschen Glück und Wohlstand schaffen, warum irritiert uns das so? Wenn es andere, die freiwillig zu uns kamen, zu etwas bringen, warum stört uns das? Würden sich Kulturen nicht vermischen und weiterentwickeln, wir würden vermutlich immer noch Höhlenwände bemalen. Oder wie frühere Königsfamilien fleissig Inzest betreiben, damit unser wertvolles Blut auch ja nicht mit «minderwertigem» vermischt wird. Haben wir denn aus der Weltgeschichte gar nichts gelernt? Schauen wir nur mal Einheimische Fakten an: Geht es der Schweiz schlechter, seit Menschen aus anderen Ländern einwandern? Nicht wirklich, oder?

Das Traurige ist, dass diese Menschen in der Schweiz meistens doch nicht wirklich glücklich sind. Während beispielsweise wir Expats in Mexiko gerne hier leben und glücklich sind. Klar vermissen wir das eine oder andere aus der Heimat (Schoggi!! ÖV!), aber wir möchten nicht zurück. Im Gegensatz zu so manchen Migranten in der Schweiz. Viele, die ich kenne, haben grosses Heimweh. Aber in ihrem Land herrscht Krieg oder miserable wirtschaftliche Zustände. Viele, die aus freien Stücken in die Schweiz kamen, wollen im Ruhestand zurück in die Heimat. Was ich gut verstehen kann. 

Vor allem der Anfang, die ersten ein bis zwei Jahre in der Schweiz sind oft schwierig. Denn wir Schweizer sind ja nicht gerade für unsere Herzlichkeit und Gastfreundschaft bekannt. (Kein Wunder leben (laut dem EDA) etwas über 10% der Schweizer im Ausland.) Viele der neu Zugewanderten kommen aus Ländern, wo das soziale Umfeld eine grosse Rolle spielt im Leben. Dann kommen sie in die Schweiz, wo es nicht einfach ist, neue Freunde zu finden. In der Schweiz ist man anfangs ein bisschen einsamer als in anderen Ländern. Schweizer brauchen eben eine Weile, um sich zu öffnen. Ganz zu schweigen von der Sprache - Schwiizerdütsch - und den Vorurteilen, gegen die sie zu kämpfen haben (je nach Ort mehr oder weniger). 

Ganz ehrlich, ich schäme mich ein bisschen, dass Menschen in mein Land ziehen, aber ausser den ökonomischen Vorteilen und der Sicherheit nicht sehr viel Gutes darüber zu berichten wissen. Das ist zwar toll, aber was ist mit den Schweizern? Die wenigsten sagen «ach, ich liebe die Menschen dort! Ich habe so eine tolle Zeit!». OK, sie lieben die Ehrlichkeit von uns Schweizern. Das ist ja schon einmal etwas. Aber trotzdem. 

Ich habe das selber miterlebt, als mein Mann in der Schweiz lebte. Da sein Deutsch noch brüchig war, fand er keine Arbeit. Ihm wurde das Telefon aufgelegt, er wurde sogar ausgelacht. Es war, gelinde gesagt, interessant, zu sehen, wie anders er behandelt wurde als ich. Manchmal wurden wir angestarrt, wenn wir Hand in Hand durch die Stadt spazierten. Wegen der unterschiedlichen Hautfarbe? Wobei ich hier vielleicht erwähnen sollte, dass wir in Luzern wohnten - das ja nicht gerade für seine liberale Einstellung und Offenheit bekannt ist. (Vielleicht hätten wir allen Leuten sagen sollen, dass er katholisch ist?). Einmal sogar wurde er von zehn Jungs verprügelt (gegen ihn alleine), nur weil ein besoffener Raudi es unverschämt fand, dass er ihm nicht antwortete. Mein Mann war damals nur zu Besuch in Luzern und sprach noch kein Wort Deutsch. 

Vor einigen Jahren arbeitete ich in einem Personalvermittlungsbüro. Es war an der Tagesordnung, dass Arbeitgeber ausdrücklich nach Schweizern verlangten. «Aber nicht diese Papierschweizer, sondern richtige Schweizer. Ich will keinen -ic.» Denn diese arbeiten ja doch nicht recht. Und die Italiener sind alles faule Säcke. (Ja, darum haben sie uns auch den Gotthardtunnel gebaut, gell). Und die Spanier kann ja sowieso keine brauchen. Und Afrikaner (weil dieser Kontinent ja von der Schweiz aus gesehen ein riesiges Land ist) um Gottes Willen bloss nicht, die stehlen alle oder verkaufen Drogen. Nach zwei Jahren in diesem Büro kann ich sagen, wir hatten genauso viele faule Ost- oder Südeuropäer wie Afrikaner oder Schweizer oder sonstige Landesangehörige. Und der Typ der mir drohte, mit seinem Maschinengewehr vorbeizukommen und uns alle zu erschiessen, hatte einen sehr schweizerischen Nachnamen. Es gibt eben überall schwarze Schafe. Aber ein Schwarz-Weiss-Denken ist eben so viel einfacher. 

Natürlich ist Rassismus nicht nur in der Schweiz ein Problem, aber ich kenne nunmal vor allem die Schweiz, und frage mich, Schweizer, was ist los mit euch?! Ich sehe ja ein, dass die grosse Einwanderungswelle in unserer Hemisphäre ein Problem darstellt, für das wir wohl noch keine Lösung gefunden haben. Aber diese Einwanderer so zu behandeln ist ganz sicher keine Lösung. Woher kommt bloss all dieser Hass? Ich schäme mich für euer Verhalten. Ich schäme mich für alle Menschen, egal wo auf der Welt, die rassistisch denken. Ich schäme mich dafür, dass ihr so grosse Angst vor «Fremdem» habt. Ich schäme mich dafür, dass eure Angst oder euer Unwohlsein grösser ist, als eure Herzlichkeit und Gastfreundschaft. Die Migranten, diese Menschen, sind nicht das Problem, das ihr bekämpfen müsst. Sie sind lediglich das Produkt eines viel grösseren Problems. Es nennt sich Politik. Weltweite Politik. Eine Politik in der gewisse Länder ausgenutzt werden und ewige Verlierer sind. Informiert euch doch mal ganz genau, warum z.B. in gewissen Ländern Afrikas Krieg herrscht, und welche Länder dort alles involviert sind. Oder lest über die Geschichte Mittelamerikas. Wer sich dort so bereicherte.   


Wir wurden mit einem Privileg geboren. Dem Privileg, in einem Land zu leben, wo es so etwas wie freier Wille tatsächlich gibt. Ein Land, wo wir nicht hungern müssen, ein Land wo unseren Kindern alle Türe offen stehen. Statt dies alles für uns behalten zu wollen, statt dafür zu kämpfen, das ja nicht teilen zu müssen, macht etwas daraus! Teilt! Verbessert diese Welt! Helft den Menschen, die dieses Glück nicht hatten! 

Freitag, 10. Juli 2015

Wieso Mexiko?


Wie sicher alle mitbekommen haben, habe ich vor knapp einem Monat der Schweiz den Rücken gekehrt. Nach einem sechsmonatigen Probewohnen in Playa del Carmen habe ich den grössten Teil meiner Sachen weggeschmissen, gespendet oder verkauft, einiges bei meinem Bruder im Keller gelagert und 45 Kilo mitgenommen. Folgende zwei Fragen musste ich deswegen schon unzählige Mal beantworten: Warum? Und wieso ausgerechnet Mexiko? Hier die Antwort dazu schriftlich. 



Viele denken, ich sei einfach wegen meinem Mann hierhergezogen. Ja, auch. Aber nicht nur. Ja, es geht um Liebe. Aber Liebe zum Leben. Liebe zu dem, was ich tue. Liebe zu meiner Umgebung. Und nicht zuletzt natürlich Liebe zu all den Menschen in meinem Leben, die mir wichtig sind.  In der Schweiz habe ich von alldem nicht mehr viel gespürt (ausser der Liebe zu den Menschen in meinem Leben natürlich). Ich war unzufrieden mit mir selbst, meiner Arbeit, meinem Leben überhaupt. Jeden Morgen musste ich mich zwingen, aufzustehen und zur Arbeit zu gehen. Eine Veränderung musste her. Denn eines war mir klar: Ich würde nicht zu einem von den Menschen werden, die immer nur motzen aber nichts gegen ihre Unzufriedenheit tun. 

Ich bin mir dessen bewusst, dass, nur weil ich in einem anderen Land lebe, nicht gleich alles magisch besser wird. Aber die Veränderungen die ich mir wünsche und die ich vor allem aktiv beeinflussen kann, sind hier greifbarer. Ich möchte nicht mehr acht Stunden am Tag in einem Büro sitzen und sinnlose Berichte, Nachrichten oder Produktbelobungen schreiben. Ich möchte überhaupt nicht mehr acht Stunden am Tag in einem Büro sitzen müssen. Ich sah in meinem Leben in der Schweiz höchstens eine Veränderung in der Karriereleiter. Und ich bin nicht daran interessiert, diese hochzuklettern. Ich bin daran interessiert, täglich gerne zur Arbeit zu gehen. Freude an dem zu haben, was ich mache. 

Ausserdem, seit  ich als kleiner Knopf mit fünf Jahren zum ersten Mal das Meer gesehen habe, war es mein Traum, am Meer zu leben. Wann hatte ich meine Träume vergessen und stattdessen nur noch an Schulabschlüsse, Diplome und Monatslöhne gedacht? Irgendwann im Laufe meines Lebens habe ich tatsächlich vergessen, was ich wirklich will, was ich wirklich gerne mache. Ich habe mich stattdessen nur noch darauf konzentriert, was von mir erwartet wird. Ich habe gedacht, ich kann schreiben, also werde ich Journalistin. Es hat eine Weile gedauert, bis ich gelernt habe, dass was man gut kann, nicht unbedingt das ist, was man täglich acht Stunden lang machen will. Oder in anderen Worten, Können ist nichts ohne Begeisterung. Es gibt noch andere Dinge die ich gut kann UND die mir Freude machen. Das letzte Jahr habe ich also hauptsächlich damit verbracht, dem auf den Grund zu gehen: Was will ich wirklich?

Unterbewusst war mir schon lange klar, dass ich hier bleiben will. Trotzdem hatte ich Angst vor der Entscheidung. Was, wenn doch alles schief gehen würde? Was, wenn ich hier niemals so gute Freunde finde würde wie Zuhause? Was, wenn ich hier noch unglücklicher sein würde? Aber in der Schweiz war ich auch nicht glücklich. Und am wichtigsten, ich weiss, ich würde es tausend Mal mehr bereuen, es nicht wenigstens versucht zu haben, als zu scheitern. Ausserdem hatte ich, bis ich endlich eine endgültige Entscheidung traf, ständig wiederkehrende Albträume davon, in Luzern bleiben zu müssen. Ein Arschtritt meines Unterbewusstseins, das meine Unschlüssigkeit langsam satt hatte. Also nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und beschloss: Ja. Ich werde alles in der Schweiz zurücklassen und hier neu anfangen. 




Dennoch, der Abschied fiel mir nicht leicht und die wenigen Wochen die ich hatte, um meine Wohnung aufzulösen und mich von allen zu verabschieden, schienen bei weitem nicht genug. Gefühlsmässig machte ich von «Ich schmeiss alles hin und bleibe doch!», über Wutanfälle und Tränen bis hin zu Euphorie alles durch. Das Thema «Loslassen» war allgegenwärtig - und hat am Ende gut getan.

Wieso ausgerechnet Mexiko? Wieder die Liebe. Nicht nur die zu meinem mexikanischen Mann, sondern zu diesem Land. Ich könnte euch jetzt seitenlang von der mexikanischen Kultur, Natur, dem Essen und den Menschen vorschwärmen. Aber das ausschlaggebende für mich war wohl, seit ich dieses Land zum ersten Mal betreten habe, fühlte ich mich hier Zuhause. 

Wie lange ich bleiben will? Für immer? Ich weiss es nicht. Denn wenn ich etwas gelernt habe in meinem Leben, dann, dass die Dinge oft anders geschehen als geplant. Also lasse ich es auf mich zukommen. 


Und nun bin ich hier. Und habe meine Entscheidung noch keine einzige Sekunde bereut. So weit läuft nämlich alles wunderbar. In der Liebe. In der Arbeit, wo sich ungeahnte Möglichkeiten aufgetan haben. Mich umgeben wunderbare Menschen. Und wenn ich am Strand stehe, die Meeresluft einatme, das Rauschen der Wellen in meinen Ohren und in die Weite blicke (ja, genau so kitschig mache ich das), dann bereue ich erst recht nichts. Es ist lange her, dass ich so glücklich war!


Mittwoch, 1. Juli 2015

Moctezumas Rache

Weiter geht’s mit den wahren Problemen des Alltags, mit denen ich mich hier herumschlage. Diese haben nach wie vor nichts mit wild um sich schiessenden Drogenbaronen oder sonstiger Bandenkriminalität zu tun. Diese Woche: Moctezumas Rache. 

Wer ist Moctezuma und wofür rächt er sich? Moctezuma war Anfang des 16. Jahrhunderts Herrscher der Azteken - das sind die, die in einem Teil Mexikos und Mittelamerikas lebten, bevor die Europäer beschlossen, dass ihnen die Welt gehört und die Spanier hier alles niedermetzelten was nicht bei drei auf den Palmen oder besonders wertvoll war. Besagte Spanier begannen in das aztekische Reich einzudringen, als Moctezuma an der Macht war. Glaubt man der Legende, so hinterliessen sie überhaupt keinen guten Eindruck bei ihm (wen wundert’s). Denn er belegte alle Spanier und sonstigen Ausländer die ihren Fuss auf den Kontinent setzen mit einem Fluch: Fürchterlicher Durchfall sollte sie in der ersten Woche ihres Aufenthaltes plagen. um also die zweite Frage zu beantworten, er rächte sich wohl dafür, dass er sich dank den Spaniern beschissen fühlte. Oder er wollte ihnen einfach Schiss einjagen. Dünnschiss ist aber leider keine geeignete Kriegsstrategie und wie wir heute sehen, hinderte er die Europäer nicht im geringsten daran, den Kontinent einzunehmen. 

Moctezumas Rache bedeutet also schlicht und einfach Reise-Diarrhoe. Jeder Mexiko-Reisende hat diese bestimmt schon mehr oder minder schlimm miterlebt. Ich bin der Meinung, hier in Playa ist es besonders schlimm. Nicht nur schmeckt das Essen hier aus unerfindlichen Gründen bloss halb so gut wie im Rest Mexikos, auch wird man hier öfter krank deswegen. Anscheinend wegen der Hitze - was ich nicht verstehe, schliesslich besitzen sie hier auch Kühlschränke. 

Wie dem auch sei, in den letzten drei Monaten war ich bereits zwei Mal beim Notarzt wegen Moctezumas herzlicher Rache - ich hatte zudem mörderische Bauchkrämpfe und das Vergnügen, mein Essen zwei Mal zu sehen. Laut meiner Ärztin sind das die Symptome, die sie hier am häufigsten behandeln muss. Weshalb ich schon ernsthaft in Erwägung gezogen habe, wieder Vegetarierin zu werden. Aber dann komme ich doch wieder an einem lecker duftenden Taco-Laden vorbei und vergessen sind die guten Vorsätze…